Ostermarsch 2012: Rede von H. Battran, GEW

Hagen Battran arbeitet mit anderen am Runden Tisch „Schulfrei für die Bundeswehr“ in Freiburg.

Rede zum Ostermarsch 2012 in Müllheim am 9. April 2012

Liebe Friedensfreundinnen und –freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Kriegslied ·  von  Matthias Claudius · 1778

’s ist Krieg! ’s ist Krieg! O Gottes Engel wehre,
Und rede du darein!
’s ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

2. Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?

4. Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?

6. Was hülf mir Kron‘ und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
’s ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Was hat der Mann bloß? Was ist das für ein Weichei? Man muss ja nicht gleich Heraklit (550 – 480 v. Chr.) Recht geben, der gesagt hat: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge und der König aller.“. Aber so ein weibisches Gejammer über etwas, was wie der Tod zum menschlichen Leben gehört, ist doch zu naiv und wehleidig! Das Leben ist Kampf, nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Völker, ihre Gesellschaften und Ökonomien! Für 2011 wurden nicht weniger als 36 Kriege (25) und bewaffnete Konflikte gezählt, drei mehr als 2010. Und so war das wohl jedes Jahr seit Tausenden von Jahren! Was also soll das Geschrei?

So etwa würde ein Jugendoffizier zumindest im Geiste reagieren, wenn ihm eine kritische Lehrerin, ein kritischer Lehrer bei einem seiner Schulbesuche Matthias Claudius‘ Gedicht „Kriegslied“ von 1778 entgegenhielte. Er und seine 93 „Kameraden“, so heißt das wohl bei der Truppe, verstehen sich schließlich als coole, rationale „Referenten für Sicherheitspolitik“, die allerdings auch eine werbewirksame Qualifikation für ihre Tätigkeit darin sehen, dass sie fast alle in sog. „Auslandseinsätzen“ ihrer kühlen Schreibtischanalyse noch eine, wie sie glauben, überzeugende Augenzeugenschaft hinzufügen konnten.

Und diese kriegserfahrenen Männer, die allein schon in ihrer Uniform augenfällig machen, dass die militärische Lösung ihrer Meinung nach ganz häufig das Mittel der Wahl in der Sicherheitspolitik sein und bleiben muss – diese uniformierten Männer also sollen allen Ernstes in der Lage sein, „Schülerinnen und Schüler über die zur Friedenssicherung möglichen und/oder notwendigen Instrumente der Politik“ zu informieren? Weiter heißt es in der baden-württembergischen Version der Kooperationsvereinbarung zwischen Kultusministerium und Bundeswehr von 2009: „Dabei werden Informationen zur globalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung genauso wie Informationen zu nationalen Interessen einzubeziehen sein.“ – Ja so, ja dann wird vielleicht doch ein Schuh draus! Wenn sie auch über die Sicherung unserer Rohstoffzufuhr, unserer Handelswege und unserer Märkte reden dürfen, werden die Jugendoffiziere schon Gelegenheit finden, den Schülerinnen und Schülern Militäreinsätze rund um die Welt plausibel zu machen.

Aber noch viel alarmierender als diese Indoktrination der Schülerschaft ist die Einsicht, dass alle acht Kooperationsvereinbarungen zwischen Bundeswehr und Kultusministerien als Hauptziel haben, die zukünftige Lehrerschaft über die Lehrerausbildung und die jetzige Lehrerschaft über sog. Fortbildungsangebote von ihrer möglicherweise kritischen Haltung gegenüber der Bundeswehr als „Armee im Einsatz“ abzubringen! Wie wichtig den Kooperationspartnern diese Indoktrination v.a. der Referendarinnen und Referendare ist, könnt ihr unschwer daran ablesen, dass in Baden-Württemberg von den 57 Lehrveranstaltungen an den Seminaren für Lehrerbildung, die zwischen 2007 und 2010 von Jugendoffizieren mitgestaltet wurden, 36 oder 63 % Pflichtveranstaltungen waren, denen sich die zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer nicht entziehen konnten. Keiner anderen staatlichen, geschweige denn privaten Institution wird ein solch privilegierter Zugang zur Lehrerbildung eingeräumt. Wen beschleicht da nicht der bitterböse Verdacht, es gehe einzig und allein darum, die Kritikfähigkeit von Lehrerinnen und Lehrern und danach die Kritikfähigkeit von Schülerinnen und Schülern in einer so existentiellen Frage wie der nach Krieg und Frieden erst gar nicht zur Entfaltung kommen zu lassen?

Wie kann unsere grün-rote Landesregierung da auch nur eine Sekunde zögern, diesen perfiden Vertrag zu kündigen? Pfingsten darf er nicht mehr gelten! Das ist unsere nicht verhandelbare Forderung!

Aber warum nur ein solcher Angriff auf das selbstständige Denken der kommenden Generationen und derer, die sie zu selbständiger Lebensführung befähigen sollen? Das verstößt doch elementar gegen die Grundsätze jeder Demokratie, die ohne mündige, d.h. kritikfähige Bürgerinnen und Bürger nicht überleben kann.

Die erste Antwort ist banal: Die Bundeswehr ist zur Berufsarmee geworden und sie ist zur weltweit operierenden Einsatzarmee geworden. Da kann sie es sich auf die Dauer nicht leisten, dass eine stabile Mehrheit in der Bevölkerung die sog. „Auslandseinsätze“ ablehnt und dem entsprechenden Umbau der Streitkräfte skeptisch gegenübersteht. Es ist eine besondere Herausforderung, in diesem geistigen Umfeld den nötigen Nachwuchs zu rekrutieren.

Die zweite Antwort ist alarmierend und muss umfassenden Widerstand hervorrufen. Unser Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell und seine Nutznießer sind auf allen Feldern anscheinend unbeirrbar dabei, die Lebensgrundlagen der Menschheit zu zerstören. Ich erinnere nur an die Umwelt- und Klimakatastrophe, an die fortwährende weltweite Umverteilung aller Lebenschancen von unten nach oben, an die daraus resultierende Gesundheits- und Hungerkatastrophe, an die fortwährende Aufrüstung, an die Schwächung und Zerstörung des sozialen Zusammenhalts, an die tiefe moralische und geistige Desorientierung allüberall. Wer sich den Zustand der Welt vor Augen führt, der wird vielleicht an August Bebel denken, der immer wieder gesagt haben soll: „Diesem System keinen Mann und keinen Groschen!“

Dass diesem Ruf die 99 % Verliererinnen und Verlierer unseres existenzbedrohenden Katastrophensystems folgen könnten, ist sicher der Alptraum jener 1 % Gewinnerinnen und Gewinner, und Anzeichen, dass dieser Traum Wirklichkeit werden könnte, mehren sich: in der weltweiten Occupy-Bewegung, im nicht enden wollenden Widerstand in Griechenland, in Portugal und Spanien, und selbst im narkotisierten Deutschland verbreitet sich in Gewerkschaften, linken Parteien, in vielen NGOs, ja selbst in der breiten Bevölkerung die Einsicht, dass es so nicht weiter geht.

Da wird es für die 1 % und ihre Helferinnen und Helfer zur Überlebensfrage, ob es ihnen gelingt, das Denkvermögen der 99 % möglichst nachhaltig zu beschädigen, indem ihnen das Denken in Alternativen verwehrt wird.

Dafür soll Margret Thatcher das TINA-Prinzip entwickelt haben, das inzwischen in den meisten Bereichen unseres neoliberal verwüsteten Lebens gilt und – wenn es nach seinen Nutznießern geht – auch die nächsten 1.000 Jahre gelten soll. TINA, also „There is no alternative!”, ist zur Kernbotschaft aller Herrschaftstechnik geworden.
Frieden, Sozialismus, ein menschenwürdiges Dasein für alle Erdenbewohner, ein respektvoller Umgang mit Natur und Klima und vieles andere mehr werden als realitätsferne utopische Leitbilder denunziert und damit wirkungslos gemacht. Noch besser: Diese Leitsterne werden aus den Köpfen möglichst aller Menschen ganz entfernt und herausgehalten, damit alle ergeben in die neoliberale Gebetsmühle: „Es gibt keine Alternative!“ einstimmen und jede Vorstellung von einer möglichen anderen, besseren Welt verlieren bzw. als gefährlichen Irrweg bekämpfen.

Bei diesen Operationen muss behutsam vorgegangen werden. Am besten ist, wenn die Menschen gar nicht oder zu spät merken, was mit ihnen geschieht, wie ihnen mit den Alternativvorstellungen die Instrumente genommen werden, ihre Gegenwart und Zukunft kritisch zu untersuchen und ihr Leben verändernd selbst in die Hand zu nehmen.

Genauso wurde die Neuausrichtung der Bundeswehr nach 1990 durchgesetzt. Ganz allmählich wurden wir an die immer zahlreicher werdenden sog. „Auslandseinsätze“ gewöhnt. Jetzt meint Kriegsminister de Maizière, die Zeit sei reif für einen jährlich zu begehenden Veteranentag für die inzwischen 300.000 Soldaten, die in den letzten zwölf Jahren draußen im Einsatz waren, (BZ 18. 02. 12). Wer regt sich da noch auf? Krieg unter Beteiligung deutscher Soldaten ist für unsere Öffentlichkeit wieder alltäglich geworden. Wenn er nur weit weg tobt, können unsere Oberen mit dem diffusen Unbehagen der Gesellschaft ganz gut leben! Und das Unbehagen der Mehrheit bleibt diffus, weil ihr in den Medien das, was in Afghanistan, vor Somalia und im Kosovo geschieht, geschönt und gleichzeitig als alternativlos vorgestellt wird. Die Haken, an denen sich zielgerichteter und wirksamer Widerstand aufhängen könnte, sind sorgfältig abgesägt und glatt geschliffen.

„Und ich dachte immer: die allereinfachsten Worte
Müssen genügen. Wenn ich sage, was ist
Muss jedem das Herz zerfleischt sein.
Daß du untergehst, wenn du dich nicht wehrst
Das wirst du doch einsehn.“

schrieb Brecht nach dem zweiten Weltkrieg.

Wir bekommen in der Regel nicht zu sehen und zu hören, „was ist“. Da kann unser Herz in der Regel nicht „zerfleischt“ sein.
Aber dass wir alle untergehen, wenn wir uns alle dem Katastrophenkapitalismus, wie er gestern Russland, den Irak und Sri Lanka verheerte, heute in Griechenland wütet, morgen in Portugal und übermorgen bei uns tobt, – dass wir alle untergehen, wenn wir uns diesem mörderischen Katastrophenkapitalismus nicht wirkungsvoll widersetzen, das begreifen immer mehr Leute in diesem Land. Und dass dieser Widerstand nicht ohne die Ächtung des Krieges und jeder gewaltförmigen Konfliktlösung, nicht ohne die Delegitimierung jeglicher Aufrüstung und jeglicher Rüstungsproduktion, nicht ohne die Beendigung einer konkurrenzbasierten und damit kriegsförmigen Weltwirtschaftsunordnung erfolgreich sein wird – das dämmert inzwischen mehr Menschen hier und anderswo, als den Nutznießern des „Imperiums der Schande“, wie Jean Ziegler es genannt hat, recht sein kann. Aber seid sicher: Sie werden sich wehren!

Alle Medien geben uns in diesen Tagen einen, wie ich fürchte, noch harmlosen Vorgeschmack auf das, was uns erwartet. Günter Grass ist es mit seinem Gedicht „Was gesagt werden muss“ geglückt, gleich mehrere der verbotenen Wahrheiten ans Licht zu zerren: Israel besitzt eine wachsende Zahl von Atomwaffen, Deutschland liefert ein weiteres U-Boot, das die entsprechenden Sprengköpfe abfeuern kann, und seit Monaten ist laut und unverhohlen in Tel Aviv und Jerusalem die Rede davon, das irakische Atomprogramm durch militärische Präventivschläge zu verhindern. Die öffentliche Hinrichtung, wie sie an dem Nobelpreisträger schon seit vielen Stunden vom Großteil derer vollzogen wird, die sich für die geistige Elite des Landes halten, erinnert mich an mittelalterliches Rädern und Vierteilen. Der unbändige Wille, diesen Mann als moralische und politische Autorität zu vernichten, verrät aber auch die Angst derer, die diese Weißwäscher bezahlen. Sie meinen, uns die Instrumente zeigen zu müssen für den Fall, dass wir die vielen Denkverbote zum Schutz der herrschenden Weltunordnung missachten und damit zu viel Erfolg haben.

Umso wichtiger ist, dass Millionen den Mut fassen, gegen den Menschheit und Welt zerstörenden Katastrophenkapitalismus und das ihm innewohnenden militärische und strukturelle Gewaltpotential anzudenken und anzureden. Nur die Solidarität der Millionen und Abermillionen wird die Umkehr in ein besseres Leben für alle möglich machen.

Umso wichtiger ist, dass immerhin wir jetzt schon hier stehen, verbunden mit den Tausenden, die die rund 80 Veranstaltungen der diesjährigen Ostermarschkampagne mitgestaltet haben.
Umso wichtiger ist, dass der DGB und seine Landesbezirke mit eigenen Aufrufen die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter zur Teilnahme auffordern. In Baden-Württemberg endet der DGB-Aufruf mit den Sätzen: „Es wird Zeit umzudenken und umzusteuern! Wir wollen Frieden schaffen ohne Waffen!“

Was wäre dem hinzuzufügen außer der dringlichen Aufforderung an den DGB und an uns alle: Lasst den vielen klugen Worten schleunigst Taten folgen! Es ist höchste Zeit!

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