SZ-Artikel über Samargol Zadran

Mitglieder des RüstungsInformationsBüros und des Freiburger Friedensforums unterstützen seit langem die Bemühungen S. Zadrans um Anerkennung als Flüchtling.

Süddeutsche Zeitung 18.08.2008

Angst vorm Amt

Gefangen in der Bürokratie: Deutschland schiebt zwar immer weniger Afghanen in ihre Heimat ab. Ein sicheres Leben führen Flüchtlinge dennoch nicht. Das zeigt der Fall des jungen Samargol Zadran.

Von Varinia Bernau

Die Angst, sagt Samargol Zadran, bestimmt sein Leben. Als er noch klein war und auf dem Hof der Eltern im Südosten Afghanistans lebte, war es die Angst vor den feindlichen Stämmen, die rechts und links des Dorfes lebten, den bäuerlichen Betrieb bedrohten und schließlich seinen ältesten Bruder ermordeten. Jetzt ist es die Angst vor einem Brief des Regierungspräsidiums Freiburg.

Von der dortigen Ausländerbehörde wird Samargol Zadran in den nächsten Wochen einen Bescheid über seinen Asylfolgeantrag erhalten. Wenn der negativ ist, so droht dem 23-jährigen Afghanen, der derzeit nahe Freiburg lebt, die Abschiebung in das vom Bürgerkrieg zerrüttete Heimatland.

In den ersten sechs Monaten dieses Jahres hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge insgesamt 188 Entscheidungen über Asylanträge von Afghanen getroffen. 35 Flüchtlingen wurde der Abschiebeschutz verweigert. Noch im Vorjahr war die Quote deutlich höher.

Lage in Afghanistan: knapper Wohnraum, Versorgungsengpässe, Krankheiten

Das liegt auch daran, dass sich die Situation in Afghanistan seither verschlechtert hat. Nach Einschätzung des Auswärtigen Amts ist die Lage „desolat“: Vier Millionen vornehmlich aus Pakistan zurückgekehrte Flüchtlinge stellten das Land vor große Herausforderungen. In Kabul verfügt jeder Vierte weder über eine winterfeste Bleibe, noch über regelmäßigen Zugang zu Trinkwasser. Wohnraum ist knapp, viele Menschen hausen in Ruinen. Infektionskrankheiten sind verbreitet, die Versorgung mit Nahrung und Medizin ist unzureichend. Nach Einschätzung des UN-Flüchtlingswerks (UNHCR) ist eine Besserung nicht in Sicht, da sich Hilfsorganisationen zurückziehen – aus Sicherheitsbedenken. „Erhebliche Teile von Afghanistan sind nach wie vor aktive Kampfgebiete oder befinden sich nicht unter der operativen Kontrolle der Regierung“, heißt es in einem Bericht des UNHCR vom Januar dieses Jahres.

Vor allem Rückkehrer, die keinerlei familiäre Kontakte in dem Land haben, werden es schwer haben zu überleben, warnen Hilfsorganisationen. Auch Samargol Zadran hat, wie er sagt, niemanden mehr in Afghanistan. Er kam vor fünf Jahren nach Deutschland: Nachdem feindliche Stämme auch ihn angegriffen hatten, flüchtete die Familie zunächst nach Pakistan. Seine Mutter und sein jüngster Bruder leben noch immer dort – illegal. Sein Vater und ein anderer Bruder wurden ermordet. Zadran gelangte mit einem Schleuser in den Iran – und von dort im Sommer 2003 nach Deutschland.

Warum nach Deutschland? Zadran zögert nur kurz: Als kleiner Junge, erzählt er, hatte er eine Jacke, darauf war eine deutsche Fahne genäht. Sein Vater habe ihm damals gesagt, dass Deutschland ein gutes, ein sicheres Land sei. Er solle versuchen, sich dahin durchzuschlagen. In ein Land, in dem es nicht nur warme Jacken, sondern auch Freiheit gab.

Zwischen Paragraphen und humanitären Argumenten

Inzwischen hat der afghanische Flüchtling auch gelernt: Deutschland ist ein Land der Bürokratie. Sein erster Asylantrag wurde im September 2004 abgelehnt. 14 Tage hatte er Zeit, um einen Folgeantrag zu stellen; nach 22 Tagen sagte ihm ein Bekannter: Der Brief von der Ausländerbehörde ist wichtig, den hättest Du nicht wegschmeißen dürfen. Seitdem hebt Zadran alle Bescheide auf.

Die Härtefallkommission des Landes Baden-Württemberg, ein Gremium aus neun ehrenamtlichen Mitarbeitern, das dem Innenministerium zugeordnet ist, aber unabhängig arbeit, hat vor etwa einem Jahr empfohlen, dem Afghanen den Aufenthalt in Deutschland zu gewähren. Er habe sich gut integriert, besuche erstmals im Leben eine Schule, arbeite als Küchenhelfer in einer Pizzeria.

Doch Innenminister Heribert Rech (CDU) hat entgegen der Empfehlung entschieden – und Zadran eine Aufenthaltsgenehmigung verweigert, was prinzipiell zwar möglich, praktisch jedoch selten ist: In nur sechs von 50 Fällen hat das baden-württembergische Innenministerium im vergangenen Jahr Aufenthaltstitel verweigert, obwohl sich die Kommission dafür ausgesprochen hatte.

„Aus humanitärer Sicht dürfte man Herrn Zadran nicht abschieben. Was soll er in Afghanistan, wo er keinerlei Perspektive hat? Aus juristischer Sicht jedoch spricht nichts gegen die Abschiebung“, beschreibt Jama Maqsudi, Sozialarbeiter bei der deutsch-afghanischen Flüchtlingshilfe in Stuttgart, das Dilemma – und fügt hinzu: „Und eine rein rechtliche Entscheidung ist ja keine falsche Entscheidung.“

Das sieht Kerstin Andreae anders: Die Bundestagsabgeordnete der Grünen hat die Entscheidung des Innenministeriums scharf kritisiert – auch in einem Brief an Rech. Das Ministerium habe „formal juristisch agiert“. Wenn man den Wiederaufbau Afghanistans ernstnehme, argumentiert Andrae, dann sei Herr Zadran ein Mosaiksteinchen. „Er hat sich unheimlich bemüht. Er ist als Analphabet hergekommen und besucht nun eine Hauptschule.“

Auch Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt und SPD-Bundestagsabgeordneter für Freiburg, hat sich für den afghanischen Flüchtling stark gemacht – und kritisiert, dass in Baden-Württemberg formale Kriterien stur beachtet werden.

Eine Bürgerinitiative hat mehr als 200 Unterschriften dafür gesammelt, dass Samargol Zadran in Deutschland bleiben darf. Eine solch starke wie prominente Unterstützung haben Asylbewerber nur selten.

Doch im Zweifelsfall wird Samargol Zadran das nichts nützen: Bei der Innenministerkonferenz im November 2004 haben die Bundesländer beschlossen, afghanische Flüchtlinge wieder in ihre Heimat zurückzuführen. Seitdem wurden vor allem Straftäter und alleinstehende Männer abgeschoben. Hamburg, wo die meisten der in Deutschland lebenden Afghanen wohnen, hat die Abschiebung von Familien zurückgestellt.

Bundesweiter Abschiebestopp für Afghanen gilt als unrealistisch

Das UN-Flüchtlingswerk will sich vor der nächsten Innenministerkonferenz im Herbst zwar noch einmal für einen bundesweiten generellen Abschiebestopp aussprechen. Doch realistisch sind die Aussichten auf eine Änderung der Regelung nicht: Der hessische Landtag hatte im April mit rot-grün-roter Mehrheit beschlossen, dass Innenminister Volker Bouffier (CDU) einen Abschiebestopp anweisen und sich für eine entsprechende Regelung auf Bundesebene einsetzen solle. Der Minister verweigerte sich: Eine Inititative bei der Innenministerkonferenz wäre nach seiner Ansicht „sinnlos“, da kein Bundesland einen Abschiebestopp wünsche.

Für den Fall, dass Samargol Zadrans Asylfolgeantrag negativ beschieden wird, hat die Freiburger Bürgerinitiative angekündigt, vorm Verwaltungsgericht dagegen zu klagen. Das würde ihm noch einmal ein halbes Jahr Aufschub geben. Mit jeder neuen Initiative schöpfe der junge Afghane auch wieder neue Hoffnung, erzählt Virginia Edwards-Menz von der Bürgerinitiative. Samargol Zadran selbst hingegen sagt: „Ich warte und warte – und immer kommt eine negative Antwort, ich habe kein Glück.“ Er hat keine Ruhe, kann sich nicht konzentrieren, nicht bei der Arbeit, nicht in der Schule. Inzwischen nehme er Tabletten gegen die Schlafstörungen. Ein anderes Gericht, so seine Befürchtung, würde vielleicht milder über ihn urteilen.

Andere Bundesländer, andere Bescheide

Dass Verwaltungsgerichte über Asylanträge unterschiedlich entscheiden, sei eben eine Folge der föderalen Struktur, sagt Bernd Mesovic von der Menschenrechtsorganisation „Pro Asyl“. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat im Mai ein Abschiebeverbot für junge alleinstehende Männer für angebracht gehalten. Und auch der Verwaltungsgerichtshof Hessen, der sich nach Einschätzung von Mesovic in Sachen Afghanistan bislang hart gezeigt hat, habe kurz zuvor ebenfalls keine Verbesserung der Lage in Afghanistan seit 2004 erkennen können.

Absurderweise, erzählt Mesovic, habe die hessische FDP zum selben Zeitpunkt einen Antrag in den dortigen Landtag eingebracht: Gerade junge alleinstehende Männer sollten nicht von der Abschiebung verschont werden – wegen ihrer Wichtigkeit für den Wiederaufbau Afghanistans. „Das Argument ist in der deutschen Flüchtlingspolitik, offenbar wegen der deutschen Vergangenheit, sehr beliebt.“ Auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) habe es kürzlich mit Blick auf irakische Flüchtlinge angeführt.

http://www.sueddeutsche.de/,tt6m1/politik/801/305767/text/

(sueddeutsche.de/jja)

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