Auf den Spuren von Krieg und Gewalt: Gedenkengang

Badische Zeitung am 12. Mai 2021

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Auf den Spuren von Krieg und Gewalt
Rund 60 Menschen kamen am Montagabend zu einem Gedenkrundgang vieler verschiedener Gruppen im Stadtteil Stühlinger
Von Anja Bochtler

FREIBURG-STÜHLINGER. Diesmal war Gottfried Beck (88) zum ersten Mal der Einzige, der noch von seinen eigenen Erinnerungen erzählen konnte: Erinnerungen an den 10. Mai 1940, als deutsche Kriegsflieger auf dem Weg nach Dijon versehentlich den Stadtteil Stühlinger bombardierten. Gottfried Beck, damals sieben Jahre alt, war in der Nähe des Hildaspielplatzes, wo 13 Kinder getötet wurden. Insgesamt starben 57 Menschen. Das jährliche Gedenken des SPD-Ortsvereins an diesen Tag war am Montag der Abschluss eines Gedenkrundgangs im ganzen Stadtteil.

Nicht nur am Spielplatz, sondern auch an der Hebelschule steht Gottfried Beck am Mikro: In der Nähe des Schilds, das dort an die jüdischen Freiburgerinnen und Freiburger erinnert, die im Oktober 1940 ins Lager nach Gurs deportiert wurden. Sie mussten sich davor in der Hebelschule versammeln. Gottfried Beck wurde damals von seiner Mutter aufgefordert, einer Frau ihr Gepäck zum Zug zu tragen – viel war es nicht, weil die Menschen fast nichts mitnehmen durften. Gottfried Beck hat das nie vergessen.

Der Grund dafür ist profan: „Die Frau war so anständig, dass sie mir 50 Pfennig Trinkgeld gab“, sagt er – das sei zu der Zeit „ein Vermögen“ und zehn Mal so viel wie das übliche Trinkgeld gewesen. Später, als er die Hintergründe kannte, machte ihn die nette Geste der Frau, die von den Deutschen in den Tod geschickt wurde, sehr betroffen. Dass an der Hebelschule inzwischen zumindest eine Gedenktafel an die Menschen erinnert, für die das Schulgebäude zu einer Etappe auf dem Weg zu ihrer Ermordung wurde, liegt am Engagement des früheren Lehrers Hanjo Glatting. Er ist nicht der Einzige, der bei diesem Gedenkrundgang, der von einem breiten Bündnis von Gruppen organisiert wurde,
betont, wie schwierig es auch noch Jahrzehnte nach dem Nationalsozialismus war, Gedenkorte zu etablieren. Eigentlich
wollte er mehr über die Täter herausfinden – über Nazi-Lehrer, die an der Hebelschule unterrichtet, und Offiziere, die
Kinder dort zum „Volkssturm“ mobilisiert hätten. Doch er kam in den Archiven nicht voran. Es habe geheißen, dass die
Akten verbrannt seien. Er fordert ein „würdiges Gedenken“, sichtbarer als das unauffällige Gedenkschild, und klares
Eintreten gegen die AfD. Davor hatte Max Heinke an der Stele für die ermordeten Menschen aus der Kreispflegeanstalt an der Eschholzstraße hervorgehoben, wie mühsam der Kampf der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der
Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN/BdA) für die 1991 eingeweihte Stele gewesen sei. An diesem Ort hatten
sich entsetzliche Szenen abgespielt, sagt Friedhilde Rißmann-Schleip vom Arbeitskreis „NS-Euthanasie und Ausgrenzung
heute“ der Freiburger Hilfsgemeinschaft für psychisch Kranke: Eine Pflegerin habe geschildert, wie sich Patienten vor dem Transport in Todesangst an ihr festklammerten. Die verantwortlichen Ärzte seien begnadigt worden, die Opfer mussten für eine Entschädigung kämpfen.

Und wo sind die Probleme der Gegenwart? Am einstigen Bunker an der Stühlinger-Garage unter der Stadtbahn-Brücke
fordert Uta Pfefferle vom Freiburger Friedensforum – wie die Deutsche Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG/VK) und andere Gruppen – , dass die deutsche Regierung wie 54 weitere Staaten den Atomwaffenverbotsvertrag unterschreiben solle. Die Bundeswehr dürfe nicht mehr an Schulen auftreten, verlangt der Friedenspädagogische Runde Tisch Freiburg. Maren Moormann vom Verein „Schwere(s) Los“ begrüßt junge westafrikanische Geflüchtete, die am Stühlinger Kirchplatz dazukommen. Sie kritisiert, dass im reichen, ungleichen
Deutschland Wohnungslose, Geflüchtete und Grundsicherungsempfänger gegeneinander ausgespielt würden. Statt die Klischees von Drogenhändlern am Stühlinger Kirchplatz zu bestärken, sollten alle die Geschichten der Geflüchteten, die
sich hier aufhalten, hören.

Am Hildaspielplatz verweist Uwe Stöhr vom SPD-Ortsverein auf die Problematik der Lieferung von deutschen Waffen an
die Türkei, die dann im Jemen eingesetzt würden: „In ein paar Jahren stehen dann im Jemen Menschen an Spielplätzen und gedenken toter Kinder, so wie wir hier.“

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